Meine Kindererinnerungen an den Palmsonntag waren etwa: Wer zuletzt am Sonntagmorgen aufstand, war für den ganzen Tag der «Palmenesel», über den man sich lustig machen konnte. Und in der Kirche wurden Palmenwedel gesegnet, die für Schutz und Segen übers Jahr im Haus sorgten.

Esel und Palmwedel waren zwei wichtige Sinnbilder als Jesus Christus an diesem Sonntag mit seinen Jüngern von der grünen üppigen Landschaft Galiläas in die karge Gegend von Judäa nach Jerusalem wanderte. Bildlich gesprochen sehen wir, wie er von einem Gebiet voller Lebenskraft, in ein Gebiet des Todes wanderte. Oder: Angesichts des zu erwartenden Todes von Jesus Christus, deutete diese Wanderung die Vollendung der Menschwerdung von Christus an.

Jeder Tag der kommenden Karwoche war bedeutungsvoll und hat sich weltweit ausgewirkt. In diesen Tagen passierte ein tiefgreifender Prozess der einen grundlegenden Bewusstseinswandel und einen neuen Impuls in die menschliche Evolution brachte.

In der Geschichte holten die Apostel den weissen Esel mit seinem Jungen bei der kleinen Lebensgemeinschaft von Bethphage («Haus der Feigen»), einer Gemeinschaft die zurückgezogen lebte und sich einem traditionellen Einweihungsweg widmete. Ihre Tiere und Bäume wurden als heilig verehrt.

Das eindrückliche Bild mit dem Mann auf dem Esel erinnerte die damaligen Juden, die am Wegrand standen an den Seher Bileam, «den Mann dem die Augen geöffnet sind» und der ebenfalls auf einem weissen Esel ritt. Jahrhunderte vorher lebte dieser und war bekannt für seine magischen Kräfte. Er wurde vom König Moab angeworben, dass er das jüdische Volk verfluche. Aber jedesmal, wenn er das versuchte, fiel er in Trance und wurde zu einem Kanal höherer Kräfte und segnete das Volk, statt es zu verfluchen. Dreimal versuchte er es, ohne seinen Auftrag erfüllen zu können. So wurde Bileam zum Symbol der Ekstase und des Segens, wie auch der Allmacht der guten Geister, die das jüdische Volk behüteten.

Am Palmsonntag begegnet uns wieder ein Mann auf einem weissen Esel. Hier fiel aber nicht er in Trance, sondern das ihm zujubelnde Volk. Die Menschen spürten, erlebten und sahen die präsente Ausstrahlungskraft des Christusgeistes die durch den Menschen Jesus wirkte. Jesus strahlte so viel Christuslicht und Wärme aus, sodass es schien, als ob die Sonne selbst in die Stadt einzöge. Die Menschen spürten, dass etwas Bedeutungsvolles geschah.

Bevor Jerusalem erbaut wurde, befand sich dort ein Sonnenheiligtum, das von Melchisedek, einem hohen Eingeweihten in die Sonnenmysterien gehütet wurde. Später wurde dort von König Salomon ein Tempel gebaut. Dieser war aber kein Sonnentempel, sondern ein Mondtempel weil die jüdische Religion eine Mondreligion ist.

Der Unterschied zwischen Sonnenreligion und Mondreligion: In einer Sonnenreligion kommen Wissen und Ge-Wissen direkt aus der geistigen (göttlichen) Welt zum Menschen. Diese Kräfte und Wissen werden direkt über das Bewusstsein in die Seele aufgenommen. Dadurch wird der Mensch zu einem Wissenden und ist selbstbestimmt, unabhängig und selbstverantwortlich.

Bei einer Mondreligion kommt das Wissen über Vermittler, ein heiliges Buch, einen Eingeweihten, einen Priester zum Menschen. Also durch einen Filter, der mehr oder weniger rein sein kann. Es ist so, wie wenn das Sonnenlicht in der Nacht über den Mond sichtbar wird. Der Mond als Mittler des Lichts in der Dunkelheit.

Als Jesus Christus auf seinem weissen Esel in Jerusalem hereinritt und im hellen Licht erstrahlte, war es, als ob die Sonne selbst erschiene, war es, als ob die Sonnenreligion wieder Einzug hielte. Dieser Sonnenimpuls entfacht sich im Herzen der Menschen, nicht in irgendeiner Institution und ist Lehrerunabhängig.

Das eingeborene Ge-Wissen und die dem Menschen eigene Unterscheidungsfähigkeit und waches Bewusstsein sind der Kompass dazu.

Der Esel damals war ein Sinnbild für einen bestimmten entrückten Zustand, in welchen die babylonischen Seher aus einem Trance-Bewusstsein heraus sprachen (Bileam auf dem weissen Esel). Ist es deshalb vielleicht, dass die Esel als störrisch, eigensinnig empfunden werden, weil sie einem eigenen inneren Impuls folgen?

Wie wäre es, wenn wir als Menschen wieder «störrisch» werden, uns vermehrt getrauen, dem inneren Willen und Ge-Wissen, der eigenen Unterscheidungsfähigkeit zu folgen?  Ein immer herausforderndes Unterfangen angesichts der zunehmenden Polarisierung und den mehr der weniger offenen Vorgaben wie über gewisse Konflikte auf diesem Globus gedacht werden muss.

Seit jeher erscheint der Esel auch als ein Sinnbild für den Körper, der gemeistert werden will. Wie dieser «Esel» zu einem Diener für einen freien, wachbewussten Geist wird, verkörperte Jesus der Christus, als er auf dem weissen Esel in Jerusalem einzog. 

Die Palmenzweige symbolisierten das Leben und die siegende Sonnenkraft. Auch hier erscheint wieder das Bild der Sonne.

Fragen für den Palmsonntag: Sind wir bereit zu denken und zu empfinden, dass in uns selbst die Wahrheit, das Wissen, beheimatet sind? Dass das Ge-Wissen ein innerer Kompass ist, dem wir vertrauen können, der mit einer Kraft ausgestattet ist, die uns durch den schmerzhaften Prozess der Menschwerdung führen kann? Der die Quelle für den Mut für Aussergewöhnliches ist? Auch wenn es noch Generationen dauert, so können wir die Vision «Mensch und Menschheit» vor Augen mit daran arbeiten. Jetzt und überall. Nicht «Schuldige» «Opfer und Täter» sollen gesucht, angeklagt, verurteilt, geächtet, bestraft und die andere Seite geschont, gelobt, gefördert, bemitleidet… werden. Das Gut-Bös-Schema hat schon längst ausgedient. Geben wir ihm keine Chancen mehr, auch wenn Kräfte im Spiel sind, die eine gefährliche Spaltung herbeizaubern wollen. Seien wir achtsam, reiten wir unseren Esel eigensinnig und weise, ruhig, zuversichtlich, immer wacher mit Mitgefühl und Mut, unterschiedslos als Mensch für Menschen.  

Der alte Einweihungsweg, den die Menschen nur in Tempeln und Einweihungsstätten weit weg vom Alltag des Volkes gehen konnten ging mit dem Wirken von Jesus Christus zu Ende. So ist auch nicht erstaunlich, dass die Klöster heute kaum mehr Nachwuchs haben.

Der neue Weg findet im Alltag mit seinen Aufgaben, Pflichten, Enttäuschungen statt. Diese sind das konkrete Lernmaterial für das geistige Wachstum. Das Leben selbst ist der Lehrmeister und der Einweihungsort.