Am Palmsonntag bereiten wir uns auf die Karwoche und auf das folgende Auferstehungsfest Ostern vor. Christus, als Meister der Apostel, wäscht seinen Jüngern die Füsse im Sinn von: „Es ist der Diener nie weniger zu achten als der Herr“. Als Dank, dass er als Eingeweihter den Nicht-Eingeweihten dienen konnte wusch er ihnen die Füsse. Übertragen auf heute: kein Chef, kein Lehrer, keine Eltern können ihre Führungsqualitäten ausüben und weiterentwickeln ohne Angestellte, Schüler, Kinder. Demut und Dankbarkeit den „Untergebenen“ gegenüber, dass sie sich zur Verfügung stellen, damit auch der „Vorgesetzte“ mit seinen Qualitäten wirken und diese weiterentwickeln kann verbindet die Beiden. Letztlich ist es unendliche Liebe, die das verbindende Glied ist zwischen Lehrenden und Lernenden.

Das Osterfest ist das wichtigste Fest für die Menschwerdung. Es ist ein Zuversichtsfest, ein Gefühlsfest, das in die Tat umgesetzt werden möchte. Es ist nicht einfach ein Erinnerungsfest an die Auferstehung von Christus, es ist ein Fest, das auf die Zukunft ausgerichtet ist. Es wird gefeiert, dass das Ego, die Materie überwunden wurde und das Geistwesen in der Materie, im Menschen Einzug halten kann.

Während der Karwoche gehen wir den Weg durch den Geist der Materie und stehen im inneren Kampf dieser zu widerstehen, durchzugehen und unabhängig davon zu werden. Mit der Kreuzigung am Karfreitag stirbt das an die Materie gebundene Ego. Wenn es in den Mysterienschulen heisst, dass „der Mensch ans Kreuz genagelt“ ist, heisst das, dass er innig verbunden, aber auch abhängig ist von den vier irdischen Reichen: Mineralien-, Pflanzen-, Tier-, Menschenreich. Das Denken, Fühlen und Wollen sollen aber frei, rein und unabhängig sein. Wertungen, Antipathien-Sympathien, Abhängigkeiten, Loyalitäten, die noch daran gebunden sind, dürfen sterben.

Christus sagte: „Wer sein Leben nicht verliert, gewinnt das Leben nicht“. Und bei den Sufis heisst es: „Stirb, bevor du stirbst“. Dieses Wissen um die Überwindung des Egos, um die Befreiung aus der Materie-gebundenheit wird verschlüsselt in allen Mysterienschulen als den Übertritt in die geistige Welt zu Lebzeiten, gelehrt. Was aber stirbt? Stirbt die Knospe, wenn die Blüte erscheint oder wenn der Kohlenstoff zum Diamanten wird? Nicht ein Sterben, das eine Trennung bewirkt geschieht, vielmehr passiert ein Wandel von einem Bewusstseinszustand in einen anderen, beim Menschen vom Ego zum inneren geistigen Selbst.  

Auf die heutige Lage übertragen taucht die Frage auf: Warum können wir das ganze Chaos da draussen nicht einfach aushalten? Resilienz, Stressfähigkeit sind die gegenwärtigen Zeitbegriffe, um v.a. mit emotionalen Situationen umgehen zu können. Es braucht mehr und noch anderes:

Ein starkes eigenständiges Denken, Fühlen und Wollen rufen, das sich nicht auf das Leiden stürzt, sondern die Chancen sieht, die im Aussen liegen. Dazu die Aussage von Christus: „Wer überwindet kommt ins Himmelreich.“ Indem wir Dünger aus Mist/Abfall machen gibt das Nahrung für die Zukunft. Wir können das da draussen aushalten und halten, weil wir etwas anderes darin sehen als nur Zerstörung und Ungerechtigkeit. Dieses andere ist motiviert von der Liebe, die um den ewigen Wandel weiss, der sich im Verborgenen, unter der Hülle des Chaos vorbereitet. Liebe sieht das Böse nicht, urteilt nicht. So wie eine Mutter alle ihre Kinder liebt, auch wenn sie verschieden sind oder das eine auf Abwegen geraten ist. Das von Ohnmacht und Wut geprägte Sorgen und Jammern um die immer prekärere Weltlage kann eine andere Richtung nehmen.

Im Alten Testament gab es den befreienden Auszug des israelitischen Volkes aus der Sklaven-Gefangenschaft der Ägypter. Wer ist Ägypten heute? Welches Joch tragen wir das befreit werden will? Sind wir nicht Geldsklaven, unterjocht von einem materialistisch-mechanisch-nützlichkeitsbezogenem Denken, erfahren Kontrolle mit allen möglichen Zückerchen, mit scheinbaren Erleichterungen, der Transhumanismus der Kreativität und Vielfalt sterben lässt, Menschenhandel, Menschenverachtung? Die Kette des Materialismus aber wird uns als vergoldet präsentiert… Dass es ein Kampf ist, erleben wir, wenn wir erkennen müssen, wie uns (im übertragenen Sinn) als Krönung des Materialismus (sinnbildlich) lediglich eine Dornenkrone aufgesetzt wird, an die noch viele glauben.

Im Inneren findet dieser Kampf von Geist und Materie, von Ego und Selbst statt. Ein bitterer Kampf, den wir aus unserem Alltag kennen, wenn es darum geht Gewohnheiten, Überzeugungen, Sympathien/Antipathien, Prägungen… zu verändern, zu transformieren.  Wir spüren, wie dieser Kampf auch ein Leiden ist, der von uns ein Loslassen/ein Sterben will. Mit dem sich Hingeben an eine andere Quelle als die Äussere, wird das geistige Erleben der inneren Auferstehung, wird der Wandel möglich.

An Ostern erleben wir uns als geistige Wesen, erleben die Auferstehung in uns selbst. Das ICH BIN erscheint, das wir auch im Anderen erkennen. Das seelisch-geistige Wesen ist befreit, um von nun an zu wirken. Es geschieht ein Schwellenübertritt, von dem alle Menschen gesegnet sind. Die individuelle Blutsverwandtschaft öffnet ihre Grenzen. Wir treten ins Zeitalter der Brüderlichkeit ein. Auf die heutige Zeit übertragen ist das der Impuls an unser immer wackeligeres Wirtschaftssystem. Können wir die Wirtschaftskrisen unter diesem Aspekt betrachten, so erscheinen sie als Chancen, ein brüderliches System zu erschaffen.

Mit der Auferstehungserfahrung erleben wir, dass im Inneren des Menschen ein universeller Quell wohnt der uns eins-sein lässt und gleichzeitig unsere seelisch-geistige Individualität bewahrt. Es ist die Erfahrung der Unsterblichkeit, die uns mit einer unermesslichen Zuversicht in unser Leben segnet.

Ostern, das Zukunftsfest segnet uns mit der geistigen Kraft, in uns Harmonie zu schaffen, damit Harmonie in unserem sozialen Leben, in der Politik/dem Rechtsleben, der Wirtschaft/Brüderlichkeit und Kultur/unserer geistigen Haltung/Ausrichtung möglich werden. Nur Karma ausgleichen (das betrifft die Anderen, das Äussere), befreit uns noch nicht. Befreiung geschieht durch die Überwindung des Egos und die Auferstehung in unser wahres inneres Selbst. Das ist Ostern.

An Ostern wird der Frühling der Neubeginn, die Auferstehung in der Natur gefeiert. Die Pflanzenwelt erwacht, die Keime spriessen, die Erde steht aus ihrem Winterschlaf auf. Der Frühling erinnert uns wie Ostern an die Zukunft.

Nimm dir einen Augenblick Zeit atme dich ins Freude verströmende österliche Feld der Auferstehungs- Befreiungsenergie ein. Was darf jetzt in dir sterben, sich wandeln? (vielleicht sind es ein oder zwei Aspekte, von denen du dich befreien möchtest).

Was passiert in dir, wenn du die Schwelle übertrittst und die Wende zulässt?

Was passiert in dir, wenn du das äussere Chaos und deine eigenen hinderlichen Muster und Prägungen als Chance annimmst?

Wie erlebst du das Frühlingserwachen in dir selbst?