Als Menschen sind wir mit einer einmaligen Fähigkeit ausgestattet: Das Denken mit der Möglichkeit zu erkennen. Ein kostbares schöpferisches Geschenk, das sich in uns Menschen entfaltet. Das hat uns ins Zeitalter des Bewusstseins geführt. Was heisst bewusst? Meistens meinen wir damit das Wachbewusstsein mit der Fähigkeit zu denken und reflektieren. Nun bewegen wir uns auch in anderen Bewusstseinssphären, die wir nicht immer bewusst wahrnehmen: Es sind dies die Trance (Tiefschlaf), der Schlaf, der Traum- und Wachzustand. Die altindischen Weisen und Seher kannten diese verschiedenen Bewusstseinszustände. Sie sahen sie in der Natur gespiegelt. Im folgenden wunderschönen Gedankenbild beschreiben sie wie sich geistiges Bewusstsein von Reich zu Reich entfaltet.

Gott schläft in den Steinen

Gott atmet in den Pflanzen

Gott träumt in den Tieren

Gott erwacht in den Menschen

Übersetzt auf uns Menschen bedeutet das: 

Das göttliche Bewusstsein ruht in uns im Tiefschlaf – wir sind in Trance

Das göttliche Bewusstsein atmet und schläft in uns – wir sind unbewusst, ahnend

Das göttliche Bewusstsein ist träumend und empfindend in uns – wir fühlen

Das göttliche Bewusstsein erwacht und denkt in uns – wir sind bewusst und erkennen

Jeder Bewusstseinszustand ist ein aufeinanderfolgender schöpferischer Entwicklungsschritt. Diese Schritte können wir in der Entwicklung des Kindes bis zum Erwachsenen beobachten. Wie sie in den Naturreichen wirken, beschreiben obige Gedanken. Im Menschen nun ist es das bewusste Denken, das erwacht. Nur wir können «Ich» sagen, können uns selbst und die Welt bewusst erkennen, gestalten und verändern.  Aus der Psychologie kennen wir das Unbewusste, das Vorbewusste, das Bewusste und das Überbewusste. In den Gehirnarealen finden wir, vereinfacht ausgedrückt, das Stammhirn mit einem schlafenden, reflexartigen Bewusstsein. Im limbischen Gehirn werden die Gefühle bewusst. Im Grosshirn werden wir fähig rational zu denken. Der Frontalcortex eröffnet Zugang zu zukünftigen Visionen. Die Neurowissenschaft misst die Gehirnströme mit dem EEG (Elektroenzephalogramm) und spricht von den Alpha-, Beta-, Delta-, Theta-Bewusstseinszuständen. Und wie Meditation auf das Bewusstsein wirkt, wird bereits ab den 1960er Jahren, insbesondere an Mönchen und regelmässig Meditierenden, untersucht. Man stellte fest, dass sich bei höheren spirituellen Erfahrungen neue EEG-Muster zeigen. Der linke Frontalcortex wird extrem aktiv, zeigt höchste mentale Aufmerksamkeit und aussergewöhnliche Wachheit.  Seither spricht man von „neuen, höheren Bewusstseinszuständen“. Meditation ist also kein Dahindösen unter einem Bodibaum.

So steigen wir von Bewusstseinsstufe zu Bewusstseinsstufe, erkennen die Welt immer klarer bis wir uns wiedervereinen mit dem geistigen Ursprung – dann ganz bewusst. Einen Hinweis auf diesen «Stufenplan» gab der Apostel Paulus (1. Brief an die Korinther, Kap 13, Vers 12): «Jetzt sehen wir im Spiegel nur dunkle Konturen, dereinst schauen wir den Geist von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dereinst werde ich ganz erkennen, wie ich selbst bin.»

Denken ist ein geistiger Vorgang

Denken ist eine geistige «Tätigkeit». Deshalb liegt das Denken näher der geistigen als der materiellen Welt. Es ist direkt mit dem Höheren Geist, mit höheren Einsichten verbunden. Gedanken, Ideen, Entdeckungen, Visionen, die in uns einfliessen sind herausgefilterte Gedanken aus der geistigen Welt. Indem wir diese aufnehmen, in Gedanken ausdrücken, bringen wir sie, in unseren Alltag, in die Forschung, in die Technik, in die Wissenschaft, in die Kunst. So werden wir Schöpfer unserer eigenen Welt. 

Umgekehrt sind wir fähig, mit unserem Denken das was wir mit unseren Sinnen in der Aussenwelt und im Alltag wahrnehmen und erfahren mit dem geistigen Ursprung zu verbinden. Alles was wir erfahren, initiieren, manifestieren besteht aus einer Innen- und einer Aussenwelt. Materie nur für sich betrachtet ist eine illusionäre, begrenzte Welt. Erkennen ist eine Brücke, die die begrenzte Welt der Materie mit der unbegrenzten Welt des Geistes zusammenbringt. 

Wären wir präsent, bewusst, dann könnten wir ständig mit dem Geist des Höheren Denkens, in Kontakt sein und ihn in seinem Wirken erkennen. Leben wir den Alltag gewohnheitsmässig, ärgern uns mal, beschuldigen den einen, loben den anderen, sind gestresst, mal träge, mal begeistert, dann ist im Hintergrund und mit uns immer das Höhere Denken, das andere Lösungen anzubieten hätte. Mit der Gabe des Freien Willens ausgestattet, sind wir aber frei, uns von den Kräften und Mächten unseres egoistischen Denkens, Empfindens, Wollens und Wünschens herumschieben zu lassen und mehr oder weniger bewusste Entscheidungen zu treffen. Da könnte dieser «Höhere Geist» im Hintergrund schon mal sagen: «Hallo, ich hätte auch noch eine Idee.»

Von welchen Quellen lässt du dein Denken inspirieren?

Die Freiheit im Denken – Denken in Freiheit

Freiheit spielt sich im Geist ab. Mit dem Denken und der Fähigkeit zu erkennen erhalten wir aus uns selbst heraus Wissen und Inspirationen, um die Wahrheit zu finden. «Aus uns selbst heraus» ist der Schlüssel, der uns den Raum der Freiheit und Unabhängigkeit öffnet. Wir können frei und unabhängig sein von unreflektierten automatischen Reaktionen auf unsere Prägungen, Werbung, Konzepte, Influencer, Pseudoidentitäten, wissenschaftlichen Beweisen und Gegenbeweisen, von Autoritäten. Das heisst nicht, dass wir Andere, wissenschaftliche Ergebnisse, Parteien, PartnerInnen, Meinungen nicht anhören sollen. Als freier Mensch haben wir aber nicht nur das Recht, sondern auch eine innere Pflicht, diese zu überprüfen.

Unser Denken wird lebendig indem wir es mit der Kraft des Willens und den Gefühlen durchdringen. Wir bestimmen, was wir in Übereinkunft mit höheren Werten und dem höheren Willen denken und materialisieren wollen/können.

Was für eine Kraft und Macht das Denken hat, das mit der geistigen Welt verbunden ist, bezeugen Menschen, die unter unwürdigsten, traumatischen Lebenssituationen (Konzentrationslager, Vertreibungen, Flucht, Folterungen, Missbrauch jeglicher Art…) grosse Reife, Menschlichkeit und eindrückliche gesellschaftlich-kulturelle Beiträge geleistet haben und leisten. Wir sind uns oft nicht bewusst, dass der Geist, mit dem wir uns bei unseren menschlichen Herausforderungen verbinden, eine Wirkung auf unsere menschlich-seelisch-geistige Reifung und auf das Ganze hat.

Das Erkennen, das Erwachen ist die Vollendung unseres Menschseins. Es ist das volle Bewusstsein das uns in die unbegrenzte Freiheit des Universums, der Schöpfung bringt.

Wie würdest du denken, wenn du frei denken würdest? Was für Konsequenzen hätte das? Nimm einen kleinen Freiheitsgedanken daraus und lebe ihn einen Monat lang bis er zur Gewohnheit wird. Dann nimm einen nächsten kleinen Freiheitsgedanken, übe ihn. Spüre wie in dir eine neue Kraft wächst.

Die Sprengkraft des Denkens

Als Menschen sind wir nicht einfach passive Zuschauer des Weltenlaufes. Wir sind fähig menschenwürdige Lösungen für alles zu finden. Wir können noch nie gegangene Wege gehen, Neuschöpfungen und Visionen, die allen dienen erschaffen. Indem wir ständig Körper-Seele-Geist herumtragen, sind wir auch mit den inneren Geheimnissen und Potenzialen verbunden. Folgen wir unseren inneren Impulsen, machen Erfahrungen, reflektieren diese, können wir bewusst Weltprozesse und die Gesetze, die darin wirken erkennen. Denn der Schöpfergeist, der Schöpferwille, drückt sich ganz praktisch in unserem Alltag durch unser Denken, Fühlen und Handeln aus.

In der materialistischen Welt in der der „Mainstream“ immer dominierender wird, braucht das unser Selbstvertrauen und Mut.

Indem du deine Gedanken- und Gefühlswelt ohne jegliche Urteile oder Wertungen beobachtest, kannst du ihre Wirkungen wahrnehmen. Achte im Alltag darauf, mit welchen Haltungen, Absichten, Prägungen, Einflüssen deine Gedanken verbunden sind. Dienen dir diese, dienen sie dem Gemeinwohl? Wie wäre es, wenn du anders denken würdest? Indem du dein Denkresultat siehst, kannst du dich hindurcharbeiten, kannst du es modulieren.

Passives Denken

Durch unseren Fokus auf die Aussenwelt, auf das Vergangene oder Zukünftige wird das Denken auf Vorgedachtes reduziert. Das schwächt das Denken da es mehr passiv ist und dem folgt, was ihm vorgesetzt wird. Das ganze Bildungs- und Kulturwesen ist davon infiziert. Freiheit und freies Denken aber sind dort beheimatet. Solange diese Bereiche jedoch von Politik und Wirtschaft dominiert und geleitet werden, kann es kein freies Denken, kann es keine Freiheit geben. Vielmehr wird unser Denken abhängig und passiv gehalten, vergleichbar mit Sklaven, die von Menschenhändlern für deren Zwecke missbraucht werden.

Als Menschen sind wir nicht dazu da Zuschauer zu sein die brav dem folgen, was sich vor uns in der materiellen Welt, aber auch im Kosmos abspielt. Wir sind Mitschöpfer in diesem Weltenprozess. Das Erkennen ist das höchste Gut und die höchste Bereicherung des Universums selbst. Es braucht einen Willensakt, dass wir unser Denken aus eingefahrenen Mustern, aus vorgegebenem Wissen und aus dem Betrieb des Gedankenjahrmarktes in eine klare, in eine aktive, kreative und selbstbestimmte Bahn leiten.

In welchen Bereichen bist du «Follower»? In welchen denkst du eigenständig, unabhängig? Erinnere dich an ein Ereignis, wo du mit deinem Denken oder einer Idee quer zu andern standest und erfolgreich warst. Und eine andere Situation in der du dich zurückgenommen hast. Wie fühltest du dich? Was dachtest du über dich in der einen oder anderen Situation?

Missbrauch und Beschränkung des Denkens

Denken kann auch zum Lügen missbraucht werden, denn Lügen ist ein Denkvorgang. Fake News sind nur eine von vielen unwürdigen Folgen von missbrauchtem Denken. Sie werden gefährlich, wenn sie sich zu neuen «Wahrheiten» hochstapeln. Wie sie mit Irreleitungen zäuseln, Kriege, auch in Beziehungen anzetteln, Verunsicherung in der Orientierung verursachen, einen Werteabbau in der Welt und in einzelnen Menschen anrichten, können wir heute weltweit beobachten.

Unübersehbar ist, wie das freie Denken und Erkennen von der materialistisch dominierten Welt mit subtilen Mitteln vernebelt und in einen kontrollierten «Rahmen» gezwängt wird. «Goodies», Versprechen aus einer heilen Konsumwelt sind Lockmittel, von inneren Werten, freiem und kreativem Denken und der geistigen Realität wegzulenken. Wir kennen u.a. die ständige Berieselung von einlullender bis dröhnender Musik, Sprechdurchsagen, (Verhaltensanweisungen, Warnungen, Konsumangebote…), Negativnachrichten, Lärm aus der Umgebung, der Luft… Unmöglich ein Restaurant, ein Warenhaus zu besuchen, selbst die Natur ohne diese «Begleitung». Sie ist uns so gewohnt, dass viele sie vermissen, sich unwohl fühlen, wenn sie nicht da ist. Das kommt einer subtilen, hypnotisierenden Verschmutzung geistiger Quellen und klaren, reflektierten Denkens gleich. Die Welt der unendlichen Möglichkeiten wird in den begrenzenden Rahmen materialistischer Wahnvorstellungen gequetscht, die darin gipfeln, den Menschen als Maschine zu bändigen. Das ist ein direkter Angriff auf unsere Welt, auf die Menschwerdung und Menschenwürde. Wir spüren es: Das rein materialistische Denken verweist uns auf einen kleinen Schattenplatzplatz in der Unendlichkeit der Schöpfung. Offensichtlich ist, dass dieses die Seele nicht wachsen lässt.

Hand aufs Herz: wir alle kennen die kleinen Alltagslügen wo wir uns oder anderen etwas vormachen, den Fünfer geradebiegen, das Herzwissen wegdrängen, etwas schönreden, übertreiben, idealisieren, wegschauen… Achte im Alltag darauf (ohne Urteile, schlechtes Gewissen, Scham – denn wir wollen ja bewusst werden), wann und unter welchen Bedingungen es geschieht. Halte inne, wähle und entscheide dich für das eine oder andere, trage die Konsequenzen bewusst.

Unsere Erkenntnisfähigkeit ist unbegrenzt.

Nur zu oft wird uns weisgemacht, dass der Mensch in seiner Erkenntnis- und Denkfähigkeit beschränkt sei. Dazu gibt es nicht nur Philosophien, das beginnt selbst im Alltag, in dem wir die kleinhaltende Bemerkung hören: «Das verstehst du nicht», «Da kannst du noch lange forschen…», «das wird die Menschheit nie ergründen können» und wie oft erhalten Kinder die Antwort «dafür bist du noch zu klein»… Fragen wir uns: Welch begrenztem Denken oder welcher Absicht folgen solche Antworten, Annahmen? Wer setzt diese Grenzen? Denken hat seine Wurzeln im Geistigen, im Unbegrenzten. Nur von dort her kommt Erkenntnis, können wir bewusst, all-bewusst werden. Klar sind Erkenntnisse des materialistisch Denkenden eingeschränkt, wenn er die Schöpfung nur im begrenzten Diesseits erforschen will.

Im Gehirn, das erst zu wenigen Prozenten genutzt wird, liegt noch ein ungeahntes Potenzial an Gestaltungs- und Erkenntnismöglichkeiten. Der heutige Bewusstseinsstand der Menschheit ebnet den Weg, zunehmend in geistige Ebenen schauen zu können. Das sich damit entfaltende intuitive Denken wird uns die Wahrheiten der geistigen Welt direkt enthüllen. Das geschieht unabhängig davon, dass von materialistisch denkender Seite her noch ausgeblendet wird, dass nebst den äusseren Sinnen es auch nachgewiesene innere Wahrnehmungssinne und -organe gibt, mit denen in die geistige Welt geschaut werden kann. Aus allen Zeitepochen kennen wir Seher und Eingeweihte, die die jenseitige Welt beschrieben haben. Im Zeitalter der Multiversen werden wir fähig, uns mit geistigen Intelligenzen zu verbinden, eine Welt des Vertrauens, der Freiheit, der Wahrheit und Liebe zu erbauen. Mit unserem Denken, Fühlen und Handeln können wir den innersten Kern der Welt bewusst erkennen. Dadurch wachsen wir Schritt für Schritt, Epoche für Epoche, Leben für Leben, in den Ursprung der Schöpfung hinein.

Versetze dich in einen Menschen, der dir fremd ist. Mache dich frei von Meinungen, Wertungen, Urteilen, Sympathien/Antipathien. Erlaube dir, dass es ganz leer und still in deinem Inneren wird. Versetze dich mit allem Respekt in die Lage des anderen Menschen. Höre durch seine Worte, schaue durch seine Augen, fühle durch sein Herz. Empfinde diese andere Welt und erkenne darin die Seele des anderen.

Das Denken mit der Fähigkeit zu erkennen führt uns stetig in die Unendlichkeit, führt uns an den Ursprung der Schöpfung, zu dem was wir Gott nennen – hier auf der Erde.

Lassen wir zum Schluss Rumi den mittelalterlichen Sufi-Mystiker sprechen, der die einleitenden Gedanken weiterführt.

Ich starb als Stein und sprosst‘ als Pflanze auf

Ich starb als Pflanze und ward Tier darauf

Ich starb als Tier und bin zum Mensch geworden

Was grauet mir, hab‘ durch den Tod ich je verloren?

Als Menschen rafft er mich von dieser Erde,

Dass ich des Engels Fittich tragen werde.

Als Engel noch ist meines Bleibens nicht,

Denn ewig bleibt nur Gottes Angesicht.

Dort trägt mein Flug mich noch weit über Engelshort

Zu unermesslich hohem Ort.

Dann ruf‘ zu nichts mich, denn in mir klingt’s wie Harfenlieder

Dass zu Ihm wir kehren wieder.

aus Dschelaleddin Rumi: Mathnawi, Buch III. Deutsch Annemarie Schimmel