Die verborgene Perle im Unvorhersehbaren

Geheimnisvoll ist dieses Unvorhersehbare. Oft spricht es in einer schwer verständlichen Sprache zu uns. Wir kennen sie: fährt uns nur schon mal ein Tram weg oder der PC hat eine Panne, der Traktor springt nicht an, der Backofen des Bäckers ist ausgestiegen und es gibt keine Gipfeli in der Konferenzpause, eine Prüfung wird nicht bestanden…, dann stellt sich erst mal Frust, ein Haare raufen ein. Unerwartete Besuche, Begegnungen, Telefonate, Beförderungen, Wohnungs- wie Arbeitskündigungen, Unfälle, Krankheiten, Wiedersehen, Aufgehalten werden… können unseren gewohnten Alltag – wenn wir in diesem Moment daran festhalten – ganz schön durcheinanderbringen. Wir entschuldigen uns fürs zu spät kommen, suchen Erklärungen oder Rechtfertigungen.

Wir fühlen uns gestört, verärgert, behindert, unterbrochen in unseren Plänen, Beziehungen, Karriere… Das Unvorhersehbare macht Angst, verunsichert, da unkontrollierbar.

Dem Unvorhergesehenen wird oft der «Zufall» zugeschoben. Nun gibt es nichts, das uns «zufällig» zufällt. Für alles, das sich manifestiert wurden Ursachen gelegt. Das ist Gesetz.

Die erfreulichen Überraschungen darunter (Lohnerhöhung, ein vorbeigebrachter Gruss im Briefkasten, eine Einladung ins Theater…) nehmen natürlich eine andere Stellung ein. Diese begrüssen wir mit offenem Herzen, fühlen uns leicht, vielleicht auch etwas besonders anderen gegenüber, der Alltag wird aufgehellt.

Diese beiden so unterschiedlichen Empfindungen entstehen durch unsere Wertungen, Urteile und die Gedanken die wir dazu machen. Wir erleben das eine als negativ, schmerzhaft, störend, das andere als positiv, lustvoll, erfreulich. Dabei bleibt uns die Botschaft verborgen, die das Unvorhersehbare mit sich bringt.

Der beschränkte Blick des oft überheblichen, besserwisserischen und kontrollierenden Menschen beugt sich nur der Unvorhersehbarkeit, der Unausweichlichkeit des Todes und der Geburt. Gesetzgeber wie Arbeitgeber, oft auch Familie, Freunde, wir selbst, tun sich aber schwer, diesen essentiellen Lebenserfahrungen des Menschseins genügend Raum und Zeit zu geben, damit sich diese Ereignisse in das Leben integrieren können, damit daraus die Kraft für die Neuorientierung und Neuorganisation geschöpft werden kann.

Das Unvorhergesehene will uns weder strafen noch von unserem Leben abhalten. Im Gegenteil: Es kann als eine Notbremse, als ein Weckruf, als eine Chance auftreten, als ein Dienst, das Leben in seine Vollkommenheit, in seine Ordnung und Schönheit zu begleiten.

Das Unvorhersehbare entreisst uns dem Gewohnten und dem Vertrauten.

  • Es öffnet Türen zu neuen, unbeachteten, kreativen Möglichkeiten.
  • Es ist eine Einladung uns über die Komfortzone von Überzeugungen, Gewohnheiten, von Erwartungen und Hoffnungen hinauszubewegen.
  • Es bietet die Chance die Weichen neu zu stellen.
  • Es entpuppt sich als treue Begleitung, als Anwalt des Leben.

Ein erfolgreicher Mann in der Führung des mittleren Kaders, verheiratet, drei Kinder, verliert kurz hintereinander seine Mutter und einen Bruder. Zudem erlitt er einen Unfall. Emotional und körperlich erschüttert, wird er durch das Unvorhergesehene unfreiwillig zu einer Auszeit gezwungen. Das passt nicht in seine Karrierepläne und verursacht vehemente Gefühle des Ungenügens, der Angst vor einem Gesichtsverlust vor seinen Angestellten, der Befürchtung er würde gemieden, seine Partnerin könnte unzufrieden, die Kinder vernachlässigt werden… Er kann seine Befindlichkeiten nicht mehr souverän überspielen. Das verursacht noch mehr Druck. Fehlleistungen sind nicht mehr zu vermeiden. Die Situation ist nicht mehr kontrollierbar.

Schon länger spürt er, dass der Leistungsdruck, das Funktionieren nach vorgegebenen Planzielen, der Druck nach Profitoptimierung, das so-tun-als-ob-alles-bestens-funktionieren würde… nicht wirklich mit seinen Werten, seinen Bedürfnissen und seinem Wesen übereinstimmen. Das stürzt ihn in einen quälenden Zwiespalt zwischen familiären, geschäftlichen, gesellschaftlichen Verpflichtungen und seinen eigenen schlummernden Bedürfnissen. Vorerst zieht er seine Sicherheit noch mehr aus dem Gewohnten und Vertrauten. Dementsprechend ist es anstrebenswerter für ihn, dieses zu stabilisieren. Die Ängste vor dem Verlust von Ansehen, von Freunden, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einkommens- und Gesellschaftsklasse, einer Verdiensteinbusse, einer Beziehungskrise sind noch zu gross, als dass er auf die Lebenssprache hören konnte. Es folgte eine Phase des Verdrängens, des Wegrationalisierens, der selbstsabotierenden Vernunft bis er sich zu einer externen Begleitung für eine Standortbestimmung und Neuorientierung entscheiden konnte.

Wenn das Leben spricht, sind die Wenn, Dann, Aber, und die Sowieso… keine hilfreichen Freunde. Das Leben ist sehr klar.

Weniger einschneidend ist das Unvorhergesehene, das ich mit einem Freund, der ein wunderbarer Koch ist, erlebte. Früher haben wir öfters für grössere Feste im Freundeskreis Buffets geplant und gekocht. Ich machte die unliebsame Überraschung, dass wenn er dann am Herd stand, der ganze Menüplan unabgesprochen sukzessive aus den Fugen geriet. Dieser entschwand in den spontanen Inspirationen die die Farben und Geschmäcker der Gewürze, Gemüse, und anderen Zutaten in ihm anregten. Unvorhergesehen entstanden neue (wohlverstanden köstliche) Gerichte. Am Herd kamen seine Talente der Kreativität, Flexibilität, Spontaneität in Fahrt. Sein etwas schwerer Körper wurde leicht und er bewegte sich beschwingt. Manchmal sang er dazu. Und ich: Zuerst ärgerte ich mich, hatte das Gefühl, mich nicht auf ihn verlassen zu können, es stresste mich, dass die Gäste enttäuscht sein könnten, ich schämte mich, ihnen die Veränderungen mitteilen zu müssen… Natürlich erzeugte das Spannungen und unliebsame Auseinandersetzungen zwischen uns. Nachdem sich diese unkontrollierbare Situation mit Garantie wiederholen würde, betrachtete ich das Ganze mal von aussen. Und: dieser Freund lehrte mich, der eigenen Kreativität, dem inneren Fluss, dem was Freude macht zu folgen, und zwar auch dann, wenn das Anderen nicht immer passt; er lehrte mich Authentizität; er lehrte mich, mich dem Unvorhersehbaren anzuvertrauen, mich darauf zu freuen und mich mit ihm mitzubewegen.

Mit dem Unvorhergesehenen spricht uns das Leben selbst in seiner Sprache an. Es erinnert uns auf seine Weise an uns selbst, an unser Wesen, an unsere Einmaligkeit, an unser Potenzial, an das was möglich ist, möglich wäre. Es folgt einer selbstordnenden Kraft, die immer Gleichgewicht und Schönheit anstrebt. Auf einer nichtsichtbaren, auf einer nichtfassbaren Ebene besteht eine Kommunikation zwischen unserem individuellen Leben und dem kosmischen Leben, zwischen Körper und Geist. Diese Selbstregulation ist ein geistiger und autonomer Vorgang den wir nicht nur in unserem Leben sondern auch in der Unvorhersehbarkeit unserer körperlichen Vorgänge finden.

Unsere Organe und Körpersysteme sind dementsprechend bestens vorbereitet, um mit dem Unvorhersehbaren umzugehen. Sie zeigen eine unvergleichliche Flexibilität in ihrem Umgang mit unplanten Abläufen. Da ist unser Herz, das nicht voraussehen kann wann wir in unerwarteten Stress, Angst, Freude, Erregung oder eine Aktivität gehen. Es passt sich den Umständen sofort an, indem der Herzschlag den Anforderungen folgt. Der Magen stellt sich sofort darauf ein, die Nahrung aufzunehmen, den Verdauungsprozess in Gang zu setzen, egal wann und was wir ihm geben. Er streikt nicht, frägt nicht ob das gut oder schlecht für ihn ist, warum ihm das nun passiert. Er geht damit um. Der Atem geht schneller, wenn wir zu rennen beginnen. Und in jedem Moment lösen sich Millionen von sterbenden Zellen ab und neue gedeihen ebenso schnell.

Eine eindrückliche Organisation, die ohne unser Zutun den Körper in Harmonie hält. Wir nehmen es als Selbstverständlichkeit hin, dass der Körper mit dem Unvorhersehbaren umzugehen weiss, ohne uns bewusst zu sein, dass das immer auch Herausforderungen an das Körpersystem sind – genauso wie das Unvorhergesehene auch für uns herausfordernd sein kann.

So wie der Körper darauf ausgerichtet ist mit dem Unvorhersehbaren umzugehen, ist das auch unser Geist. Freude, Leichtigkeit, Gelassenheit und nicht zuletzt Erfolg, hängen davon ab, wie wir in der Lage sind unsere Vorbehalte dem Unbekannten gegenüber in Vertrauen zu wandeln. Im Unbekannten verbirgt sich die Quelle der Kreativität und der unbegrenzten Möglichkeiten. Wir sind angeschlossen an diese Quelle, können aus ihr schöpfen, vorausgesetzt wir beschränken uns nicht auf das eine Prozent Bewusstsein mit dem wir so vehement unsere Überzeugungen und Weltsichten vertreten.

Wie kannst du dich dem Unvorhergesehenen öffnen und darin Sicherheit gewinnen?

  • Es braucht ein Zurücktreten in den Zeugenstand, in eine neutrale Betrachtung. Neutral-sein (nicht gleichgültig) heisst, dich von Identifikationen, Emotionen, Gedanken, Interpretationen und Meinungen unabhängig zu machen.
  • Vertraue darauf, dass hinter Unvorhergesehenem eine weise Führung steht, die den inneren Lebensplan im Auge behält. (Dann müssen Enttäuschungen, negative Wertungen oder Urteile, Gefühle des Versagens nicht sein. Das Unvorhersehbare verliert somit das Bedrohliche.)
  • Mach dir bewusst, dass das Unvorhersehbare nicht zufällig ist.

Anregung

Erinnere dich an eine unvorhergesehene Situation, die dir Angst gemacht hat, in der du dich ohnmächtig fühltest, die dich verunsicherte, oder die du nicht kontrollieren konntest.

Schritt 1: Nimm nun dein Beispiel als eine Gelegenheit, kreativ mit dem Unbekannten umzugehen. Betrachte es neutral. Wandle es, indem du dir eine neue, eine andere Lösung kreierst als du es gewohnt bist. Mach dir eine Vision daraus mit der du dich, frei, glücklich, erfolgreich, mit der du dich mit dir und dem Leben verbunden fühlst.

Schritt 2: Schreibe dir auf, wie diese Vision der Entfaltung deines Lebens und der Lebensfreude dient, wenn du sie Schritt für Schritt erfüllen würdest.

Schritt 3: Gib nun dieser Vision eine Chance, indem du etwas Kleines, Überschaubares davon umsetzt. Tu es, wie wenn du ein eigenes Kuchenrezept kreieren würdest. Du brauchst etwas Mut, um mit neuen Zutaten zu experimentieren. Dabei kannst du auf deine bisherigen Erfahrungen mit dem Kuchenbacken abstellen. Mische Neues, aber nur so viel, dass du den Überblick für ein erfolgreiches Gelingen behältst. Verfahre so mit deiner Vision.

Mach das Unvorhersehbare zu deinem Verbündeten, indem du es in eine kreative Chance wandelst.