Es hat einen Preis und einen Bonus, dieses Herzdenken. Einerseits kostet es eine satte Prise guten Willen, eine wohlwollende Bereitschaft Andere und Fremdartiges verstehen zu wollen und eine Portion Löwenmut zur Selbstüberwindung. Da das Herzdenken frei und unabhängig von Meinungen, Weltanschauungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen, von Urteilen ist – auch wenn diese in der äusseren Welt eine Rolle spielen -, wirkt es auf der anderen Seite entspannend, verbindend, befriedend, Herz und Geisterweiternd. Und… es macht uns Zukunftskompetent. 

Wer kennt nicht schon den verzweifelten (oft anklagenden) Satz: «wieviel an Katastrophen und Leid braucht denn der Mensch noch, bis er kapiert, dass es so nicht mehr weitergeht?» Ist dahinter nicht die tiefe Sorge um das Mensch-sein, um die Menschwerdung um die Menschenwürde spürbar und der Wunsch, dass «endlich etwas getan werden muss»? Auffällig ist, dass dieser vielgesagte Satz meistens «die Anderen», «die sogenannte Masse» oder die Regierenden meint. Vergessen geht dabei, dass jeder, wir alle, auch zu den Anderen und jeder auf seine Weise zu dieser «Masse» (man könnte auch Menschheit sagen) und Handelnden gehören. Alle könnten wir also sofort tätig sein.

Bekanntlich beginnt der erste Schritt zu einer Handlung im Geist, in unseren Gedanken. Hier liegt die Quelle der Macht, mit der wir unseren Alltag und unsere Zukunft gestalten können. Natürlich hängt die Wirkung davon ab, von welchem Geist wir uns nähren lassen wollen. Das fordert den Mut heraus, zu überprüfen, ob wir die im Menschen angeborene Fähigkeit des Denkens und Beurteilens selbst benutzen oder ob wir nachbeten was andere meinen und ihnen das Gebet und Zepter zum Gestalten überlassen.

Sind wir selbst aufgelöst, im Feind-Opfer-Täter-Helfer-Denken gefangen, machen wir dem Weltganzen und der Menschheit keinen Dienst. Einäugigkeit trübt unsere Sinne. Sie schwächt nicht nur den Willen, sondern auch einen besonnenen und im Herzdenken verankerten Umgang mit dem was uns alle betrifft. Die tiefe Bekümmernis von Vielen lädt ein, die Aufmerksamkeit auf Lösungen, auf Chancen, auf Möglichkeiten, auf Gemeinsamkeiten zu richten, dort wo der sprudelnde Quell unserer Schöpferkraft fliesst. Konkrete Projekte, auch kleine, Visionen, Veränderungen können vertrauensvoll Fuss fassen. Auf beide Arten verursachen wir, oft noch instinktiv, unser eigenes Schicksal wie das der Menschheit. In der Wahl sind wir frei.

In uns liegt die Macht mit den Fähigkeiten und Talenten, die jeder Mensch mitbringt, den Teil in der Welt zu ändern wofür nur wir zuständig und verantwortlich sind. Dieser Teil sind wir selbst. Indem wir alle unseren Beitrag geben, kann ein neues kollektives Bewusstsein entstehen. Sind wir selbst in Unruhe, wird es «da draussen» auch nicht ruhig. Die Ernte entspricht unserer Saat. Das läuft gesetzmässig nach Ursache und Wirkung. Alle haben Möglichkeiten eine Zukunft mit zu verursachen, über die wir uns freuen können.

Nachfolgende Übungen möchten den «guten Willen» und das Herzdenken anregen. Eine Möglichkeit, dem sogartigen «negativen Willen» einen möglichen Ausweg anzubieten. Im Raum steht die kritische Frage: sind wir bereit die Grenzen unserer eigenen Sonderstandpunkte zu öffnen? Wie bei einem Festtagskuchen braucht es dazu besondere Zutaten: Herzwärme, einen offenen, aber kritischen Geist, wertfreie Akzeptanz von dem was ist wie es ist (ohne damit einverstanden sein zu müssen), Widerstandslosigkeit und Standfestigkeit.

Wenn wir in den folgenden Übungen das tieferliegende Wesen, die Motivation, die Absicht, die Geschichte und die Logik im Andersdenkenden oder einer Situation erforschen und verstehen wollen, ist das nicht zu verwechseln mit einer Blauäugigkeit oder Kritiklosigkeit gegenüber Ungerechtem, zerstörenden, menschen-, geist- und lebensfeindlichen Realitäten. Unser Wissen und unsere Erfahrungen sind wichtige Quellen im Beurteilen (nicht Verurteilen) von Lebenssituationen.

Übung 1: Annehmen – ein Akt der Demut dem Leben gegenüber

(Demut nicht verstanden und missbraucht als Unterwerfung, sondern als Einsicht in Tatsachen, in Unabänderliches). Schaffe dir eine angenehme Atmosphäre (z.B. mit Kerze, lies vorher einen aufbauenden Text, verweile einen Moment mit deinem Freund Atem…), komm zur Ruhe.

Stelle dir dann dein momentanes Leben vor. Mache dir innerlich deine Eltern, Geschwister, das Land, den Ort, die Lebensbedingungen, die Kultur, den Zeitgeist, in die du geboren wurdest, auch deine Fähigkeiten, Talente und Begrenzungen, mit denen du wirken und bewirken kannst, bewusst. Das ist deine Ausgangslage in diesem Leben. Du hast nichts anderes. Dazu gehört auch die derzeit verwirrende und schmerzhafte aber auch chancenreiche Lage, in der wir Menschen uns befinden.

Kannst du dir vorstellen, dass du genau am richtigen Ort, zur richtigen Zeit mit den richtigen Menschen zusammen bist, dass dir nur das begegnet, geschieht, was mit dir selbst, mit deinem Seelenweg und dem Seelenweg der Menschheit zu tun hat? Kannst du annehmen, dass du erwünscht und geliebt bist? Kannst du annehmen, dass du gebraucht wirst, genau in dieser herausfordernden Zeitepoche, in der du und wir als Menschheit an einer Wende stehen? Vielleicht spürst du sogar tief in dir eine Freude, mitwirken zu dürfen an diesem grossen Wandel?

Spüre nach, was das für dich als Person, als geistiges Wesen, als Mitmensch bedeutet. Lass dir von deiner inneren Weisheit ein stärkendes Symbol für die Kraft des Annehmens geben. Gib diesem Symbol einen Platz in deinem Herz oder einem anderen Teil deines Körpers, der besonders Unterstützung braucht.

Das Annehmen ist ein befriedendes Ja, das in deine eigene Kraft führt.

Übung 2: Wandlung von Ungleichgewichten in ihren Idealzustand

Im Laufe des Tages begegnen wir unzähligen kleinen und grösseren Begebenheiten, die wir kritisieren, auf die wir antipathisch oder sympathisch reagieren. Es passiert schon, dass wir am liebsten aus dem Bauch heraus oder mit gescheiten Argumenten reagieren würden. Verständlich, aber nicht hilfreich. Eine andere Möglichkeit: 

Im Augenblick wo du in deinem Alltag in eine unangenehme, beängstigende, verletzende, ärgerliche, ungerechte, unsympathische… Situation gerätst, wandelst du diese in dir selbst zum Guten und bringst sie in ihren Idealzustand. Fühle, empfinde die Kraft des Gleichgewichts, der Harmonie, des Friedens die dadurch entstehen können so intensiv als möglich. Nimm wahr, in dir selbst und was zwischen dir und dem Menschen, der Situation passiert.

Diese Übung solltest du nicht aufschieben, sondern sofort im Moment ausführen. Als Erinnerung kann dir innerlich das Bild eines Abzweigungssignals wie es im Verkehr benützt wird, unterstützen.

Auf unaufgeregte Weise wirkt diese unsichtbare Wandlungsarbeit befriedend, klärend, transformierend in dir wie im Umfeld.

Übung 3: In allem das Positive sehen

Eine förderliche, stärkende Eigenschaft, die du in dir wecken und kultivieren kannst ist in allem und jedem etwas Schönes, Gutes, Wahres, Hilfreiches, Intelligentes, Sinnvolles, Erheiterndes… zu entdecken und wertzuschätzen. Das Hässliche, Widerwärtige, Irrtümer, Ungerechte, Chaos sollen nicht abhalten, das Positive wahrzunehmen, zuzulassen und dem Anderen zuzugestehen.

Durch diese «zweiäugige» Sicht baut sich eine energetische Brücke der Sympathie und Zuwendung zum anderen auf. Diese unsichtbare Brücke hat die Macht, positiv auf die Situation zu wirken. Der Moment ändert sich sofort, auch wenn das vielleicht erst unbewusst geschieht. Und… es werden aufbauende Spuren für die Zukunft gelegt. Die Übung kannst du jederzeit anwenden.

Das Förderliche, das Fruchtbare ist was ein Mensch oder eine Situation auch hat und nicht das was fehlt.

Übung 4: In die Schuhe des Anderen stehen

Du brauchst dafür wieder eine angenehme ungestörte Atmosphäre und Zeit. Verbinde dich mit der bedingungslosen Liebe und Weisheit deines Herzens. Lass zu, dass seine Wärme und Güte in alle deine Zellen ausströmen, sie im Licht des Friedens pulsieren.

Stelle dir dann z.B. einen «Nein»-Stimmer vor, wo du «Ja»-überzeugt bist oder umgekehrt. Oder jemanden der dich ärgert, mit dem du Mühe hast… Schaue nun aus dem Winkel deines unvoreingenommenen, anteilnehmenden Herzens. Frage dich: wie ist es dazu gekommen, dass dieser Mensch so denkt fühlt, handelt? Was hat er erlebt? Wo wurde er benachteiligt? Wo gefördert? Hatte er Wünsche, die nicht erfüllt werden konnten? Was sind seine Sorgen? Seine Hoffnungen? Seine soziale Lage? Erkunde den anderen wie eine unbekannte Landschaft, begegne ihm mit Interesse. Erkunde, bis du verstehen kannst. (Das heisst nicht, dass du mit ihm einverstanden sein musst.) Was passiert in dir, wenn du verstehst?

Verstehen stärkt die Fähigkeit der Akzeptanz und des Respekts, der Geduld und des Mitgefühls, verbindet und schützt vor eigenen Verhärtungen.

Bereit zu sein ohne persönliche Beurteilungen, Meinungen, Sympathien-Antipathien, uns auf das Denken, die Überzeugungen, das Verhalten eines anderen Menschen einzulassen, kann uns ein besseres Verständnis für das Zusammenspiel von Ursachen und Wirkungen im Lebenslauf eines Menschen, einer Situation, Organisation, Gesellschaft geben.

Die hier vorgeschlagenen Übungen sind keine mechanischen Übungen auch keine Party-Aufheller. Mit dem geduldigen Dranbleiben und einem liebenden Geist können sich seelisch-geistige Kräfte und Fähigkeiten (Unabhängigkeit, Neutralität, Mut, Klarheit, Solidarität, Standfestigkeit, Anteilnahme, Freude, Zuwendung, Liebe, Respekt, Wertschätzung…) aufbauen, stärken, ausrichten. Sie haben die Kraft uns selbst von negativem Denk-, Fühl- und Handlungsvermögen zu befreien und uns aus einem beengenden und beschränkten «Entweder-Oder» zu entlassen. Wir erarbeiten uns eine Zukunftskompetenz, mit der wir ganz bewusst unser Leben und das Leben unserer Kinder mitgestalten. Würden wir nur im Wünschen oder Fordern stecken bleiben, verhinderte das, dass etwas in Richtung Wandel passiert. Beginnen wir dort, wo wir alle Möglichkeiten und alle Macht haben: bei uns selbst.

Werden wir wie die Sonne, die bedingungslos alle und alles wärmt und belichtet, die nicht nach Herkunft, Bös oder Gut, gerecht oder ungerecht frägt, die ihren Weg kennt und unerschütterlich ihren Platz hält, die treu ihre Aufgabe erfüllt, die Leben, Gleichgewicht, Schönheit, Ordnung und Entwicklung sichert.

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Urteilsvermögen ist die höchste Aufgabe eines Meisters.

Wenn du den Sog von Freude und Liebe im Körper spürst,

nimm die Botschaft an, dann gehört sie dir.

Wenn du aber Verwirrung und Unsicherheit fühlst,

dann gehört sie jemand anderem, also lass sie in Liebe.

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